Mut zur Erziehung

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Mut zur Erziehung | 11. März 2014 – PAMöller

Dass Erziehung ein Thema ist, wird kaum jemand bestreiten. Nahezu täglich und fast im Übermaß hat man damit zu tun, sei es in wiederholter Erschütterung über PISA oder die x-te Neuorientierung im System Schule. Einer Rechtfertigung bedarf das Thema folglich nicht, wohl aber eines guten Grundes. Es ist diese klein- und schon fast weggeredete Zeit, in welcher das Kind noch nicht erwachsen sein kann oder muss. Am Ende muss es hinein in die Erwachsenenwelt: Es muss! Aber wie? Freiwillig!

Im Grunde schätzen unsere Kinder und Jugendliche ihre Welt ganz realistisch ein: Viele glauben schlichtweg nicht mehr an die Werte, die in der Erwachsenenwelt zählen. Zu rücksichtslos, zu pervers die Anreize, zu käuflich die Welt des Lebens. Was zählen da noch Werte. Das verführerisch als Innovation Angebotene ist um Vieles schicker und es ist zudem leicht zu haben. Verdeckt es doch das Diktat der Ökonomie, nimmt Platz ein in geradezu jeder Hosen- oder Jackentasche und hat ebenso seinen Einzug ins Wohn- wie Klassenzimmer genommen. Jugend ohne Werte? Keineswegs, jedoch ohne Mut geht das nicht. Allerdings, wessen Mut ist hier überhaupt gefragt?

Internet und die Möglichkeit die Kinder frei zu setzen von "industrieartig systematisiertem Lernen" und "schierer Unterrichterei" sind für viele Lehrer und Eltern ein Affront. Sie verlieren Kontrolle! Nicht unbedingt, aber Pädagogik, die Führungslehre also, wäre gefragter denn je. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Eltern, als die eigentlichen, weil natürlichen Erzieher "machen sich dünne". Sie delegieren wo und wann möglich an den Staat. Die Schule jedoch beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit sich selbst und verkriecht sich hinter Lehrplänen, die bei Drucklegung bereits veraltet sind.

Viele Eltern scheuen sich den Mut zur Erziehung zu eigen zu machen. Weder wollen sie sich der zwingend notwendigen Konflikte annehmen, die bereits im Kindesalter auftauchen, noch gilt dies ganz zu schweigen von der intensiveren Zeit der Pubertät. Eine Art Anbiederung und Verschwinden klarer Rollen ist Realität wie Standard geworden. Wie können wir heute noch Erziehung leisten? Die dafür eigentlich produktiven Abstände zwischen den Generationen lösen sich im Einerlei scheinbarer Harmonie auf. Unnatürliche Kumpelei wirkt innovativer und scheint einfacher zugleich. Doch Eltern sind Eltern. Eltern und Kind sind nicht gleich und zwangsläufig ist die "hippe Rolle" als Freund ihrer Kinder falsch. Eltern erziehen mit Liebe, nicht mit Freundschaft. Das ist ein Unterschied.

Produktive Abstände zwischen den Generationen sind fruchtbar, sofern man diese erkennt und nutzt. Dies gilt genauso fürs Elternhaus wie für die notwendigerweise hinzugezogenen staatlichen Erziehungsinstitutionen. Beide sollten sich fragen wie das Kind auf seinem Weg in die Erwachsenenwelt bestmöglich in seinen Stärken gefördert und Schwächen unterstützt werden kann. Das geht im Falle der Schule jedoch weit über Unterricht und Wissensanhäufung hinaus. Und beim Thema Ganztagsschule – recht "trendy" – sollte man wissen, dass man kein Kind zehn Stunden am Tag zum Lernen bringen kann, es anschließend noch mit Hausaufgaben abfüllt und hofft, dass am Ende eine eigenständige Persönlichkeit herauskommt.

Eine Schule, die auf Pädagogik und darüber auf den Mut zur Erziehung als erste Präferenz verzichtet und stattdessen die profilgemäß auf Lehrplan und Prüfung abgestellte Wissensvermittlung vor die Pädagogik stellt, degradiert sich selbstständig zu einer Rekrutierungsanstalt für die eindimensionale Wissensgesellschaft. Eine derartige Schule doziert den Kindern und Jugendlichen maßgeblich nur die Standards zur "Ökonomie des Lebens" und bringt darüber allerhöchstens den künftigen Marktteilnehmer auf den Weg. Keineswegs jedoch etwas Werte- und Persönlichkeitsbildendes. Dies setzt voraus, dass die pädagogischen Möglichkeiten konsequent genutzt werden.

Nicht zuletzt, sondern allem voran bei den Eltern setzt Mut zur Erziehung schon eine gewisse Präsenz voraus, ein "Ohr an der Wand" und eine "lange Leine, aber an der Leine". Sagt man A, muss B folgen. Sie sind die natürlichen Erzieher, die das Kind bei den zahlreichen Konflikten und möglichen Gefährnissen des Lebens systematisch "älter machen"(müssen) – auch wenn es schwer fällt –, ihm Werte auf seinen Weg mitgeben und es über kurz oder lang an die Welt der Erwachsenen heranzuführen.

Keine elterliche Erziehung auszuüben, weil sie dem Staat überlassen ist, ist unnatürlich und daher falsch. Wenn dem so ist, gibt es zwei Thesen, die an den Anfang recht handlungspraktischer Überlegungen gehören ...

Buchhinweis:
Gustav Hoffmann und Peter-Alexander Möller, MUT ZUR ERZIEHUNG – Starke Kinder brauchen starke Eltern. Ratgeber Familie | Essay. 156 Seiten.

ISBN 978-3-735-78756-9 für die Printausgabe im Buchhandel oder als E-Book u. a. über Apple iBookstore, Amazon oder eBook.de.
Primat der Pädagogik
30. Juli 2014 | PAMöller
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